Die Feststellung der Insolvenz in der Corona- Pandemie – ein gesetzgeberisches Meisterwerk?

 

Ein Beitrag von Dr. Ferdinand Müller, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht und Fachanwalt für Steuerrecht, Weiland Rechtsanwälte, Stuttgart

 

Täglich bekommt man zu lesen, dass eine verschleppte Pleitewelle drohe und demnächst Tausende von Unternehmen Insolvenz anmelden müssten. Angst besteht vor allem auch bei gesunden Betrieben vor sogenannten Zombie-Unternehmen. Dabei ist gesetzgeberisch sehr viel in Bewegung. Aufgrund einer EU-Richtlinie wurde ein neuer präventiver Restrukturierungsrahmen geschaffen, der in Umsetzung einer europäischen Restrukturierungsrichtlinie einen Katalog an neuen Restrukturierungsinstrumenten enthält und insbesondere eine planmäßige außerinsolvenzrechtliche Restrukturierung ermöglicht.

 

Nun gilt es allerdings die seit März 2020 bestehende Gesetzgebung näher zu beleuchten, wenn es letztlich darum geht, ob ein Unternehmen Insolvenz anmelden muss oder nicht. Zumindest eines scheint gesichert: Nach aktuellem Stand sind die Insolvenzantragspflichten für alle Unternehmen, die Hilfen aus den staatlichen Förderprogrammen beantragt haben, jedoch noch nicht erhalten haben, bis Ende April 2021 weiterhin ausgesetzt. Zudem besteht großer Konsens darin, dass der Prognosezeitraum für den Insolvenzgrund der Überschuldung (§ 19 InsO) bis Ende des Jahres 2021 von zwölf auf vier Monate reduziert ist, sofern die Überschuldung auf der Corona-Pandemie „beruhe“. Ob es für den Zeitraum danach noch weitere Änderungen gibt, ist wegen dem Bundestagswahlkampf weder wahrscheinlich, noch unwahrscheinlich, mithin ergebnisoffen.

 

Aus Sicht der Geschäftsleiter und Vorstände bergen diese Sonderregelungen Chancen und Risiken zugleich. Auf der einen Seite steigende Möglichkeiten, Unternehmen, die sich in einer Krise befinden, mit Erfolgsaussichten zu sanieren, auf der anderen Seite bleibt jedoch das persönliche Haftungsrisiko. Wer als Geschäftsleiter trotz Eintritt der Insolvenzreife kein Insolvenzantrag stellt, muss nicht nur mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen, sondern muss der Gesellschaft aus einem persönlichen Vermögen auch alle nach Eintritt der Insolvenzreife erfolgten Zahlungen erstatten (unter anderem § 64 GmbHG). Diese Haftung kann schon eine Existenzbedrohung des Ausmaßes annehmen. Und das die Vorgaben dazu, im Zuge der Corona-Pandemie, wann nun ein Insolvenzantrag zu stellen ist, seit einem Jahr für unterschiedliche Zeiträume und unterschiedliche Insolvenzgrundbegriffe ständig ändern, macht die Situation für einen Laien aber auch für Insolvenzrechtler auf den ersten Anhieb sehr unübersichtlich und setzt intensive Prüfungen von Besonderheiten (wann wurden Anträge auf Corona-Hilfen gestellt, wie war die Situation am 31.12.2019, wie war die Situation am 31.12.2020, wie ist die Liquidität bei einem kurzen Prognosezeitraum zu staffeln, wie ist die Liquiditätsprüfung, wenn der Staat Schuldner ist, etc.) voraus, um überhaupt Empfehlungen abgeben zu können.

 

Das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz wurde als Artikel 1 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht am 27.3.2020 erlassen (BGBL 2020 I, S. 569 sowie Jahn, in: NWB 2021, S. 170-171), das den wirtschaftlichen Auswirkungen der seit Anfang 2020 in Deutschland (und weltweit) grassierenden COVID-19-Pandemie in Deutschland mit rückwirkendem Inkrafttreten zum 01.03.2020 (Art. 6 des Gesetzes) entgegenwirken soll. Um überschuldeten Unternehmen auch weiterhin die Möglichkeit zu geben, sich unter Inanspruchnahme staatlicher Hilfsprogramme und im Rahmen außergerichtlicher Verhandlungen zu sanieren und zu finanzieren, wurde die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zunächst bis zum 31. Dezember 2020 verlängert (Bundestags-Drucksache 19/22178). Im Dezember 2020 hat der Gesetzgeber nun das CovInsG erneut geändert. Dadurch wurde die Aussetzung der Pflicht zur Insolvenzantrag-Stellung beim Insolvenz-Grund der Überschuldung bis zum 31. Januar 2021 verlängert. Diese Verlängerung gilt allerdings nur für Unternehmen, bei denen die Auszahlung der seit dem 1. November 2020 vorgesehenen staatlichen Hilfeleistungen noch aussteht (§ 1 Abs. 3 CoVInsAG).

Die Aussetzung gilt allerdings dann nicht, wenn offensichtlich keine Aussicht auf Erlangung der Hilfeleistung besteht oder die erlangende Hilfeleistung für die Beseitigung der Insolvenzreife unzureichend ist. Insgesamt ist nachteilig, dass die bisherige gesetzliche Fassung nicht berücksichtigt, dass es bei der Bearbeitung und Auszahlung von staatlichen Hilfsprogrammen im Zuge der Pandemie zu Verzögerungen kommt und kommen kann, die eine Mittelbereitstellung vor dem 31. Januar 2021 nicht ermöglicht, in anderen Fällen derzeit noch nicht einmal eine Antragstellung für den Bezugszeitraum November und/oder Dezember 2020 zulässt. Letztlich wurde dies durch die Verlängerung bis 30. April 2020 später vom Gesetzgeber teilweise berücksichtigt.

Ziel des COVInsAG war es, die Fortführung von Gesellschaften zu ermöglichen, die durch die COVID-19-Pandemie in eine finanzielle Schieflage geraten sind und aufgrund ihrer eingetretenen Insolvenz verpflichtet wären, ein Insolvenzverfahren einzuleiten. Ihnen soll trotz des Vorliegens von Insolvenzreife die Zeit gegeben werden, staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen und mit Gläubigern und Kapitalgebern Finanzierungsvereinbarungen (z. B. Darlehen) und Sanierungsabreden (z. B. Schuldenschnitte) zu treffen, um ihre Schieflage und Insolvenz zu überwinden.

 

Einzelregelungen für die Zeit der Pandemie

 

Nach § 15a Satz 1 Insolvenzordnung (InsO) muss der Vertreter einer juristischen Person (z. B. einer GmbH oder AG) und nach § 42 Abs. 2 BGB der Vorstand eines Vereins bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen. Diese Pflicht wurde durch § 1 COVInsAG in seiner ursprünglichen Fassung nur bis zum 30. September 2020 ausgesetzt.

 

Nur, d.h. ausschließlich für den Insolvenzgrund der Überschuldung, wurde die Aussetzung später vom Gesetzgeber bis zum 31. Dezember 2020 verlängert. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht setzt allerdings stets voraus, dass die Insolvenzreife gerade auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht.

 

Im Falle der Zahlungsunfähigkeit erforderte sie außerdem, dass Aussichten darauf bestehen, die Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Die Insolvenzantragspflicht ist nur solange ausgesetzt, wie tatsächlich Aussichten auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestehen. Bestehen keine Aussichten dazu mehr, muss vom Geschäftsleiter wiederum unverzüglich ein Insolvenzantrag gestellt werden.

 

Wer sich auf das Nichtbestehen einer Verletzung der Antragspflicht beruft, trägt hierfür die Beweislast.

 

§ 3 COVInsAG beschränkte zudem zeitweise das Recht der Gläubiger, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens für zahlungsunfähige oder überschuldete Schuldner zu beantragen (sogenannte Gläubigeranträge oder Fremdanträge): Bei Fremdanträgen, die zwischen dem 28. März und 28. Juni 2020 gestellt wurden, durfte das Insolvenzverfahren nur dann eröffnet werden, wenn der Insolvenzgrund bereits am 1. März 2020 vorlag. Die Regelungen galten rückwirkend ab 1. März 2020.

 

Die Haftung aus § 64 GmbHG wurde abgemildert. § 3 COVInsAG lockert diese Zahlungsverbote zum Schutz der Geschäftsführer und Vorstände vor Haftungsansprüchen des Insolvenzverwalters, sofern nach § 1 COVInsAG die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt ist (siehe dazu oben). Demnach gilt für diese Fälle: Zahlungen, die im „ordnungsgemäßen Geschäftsgang“ erfolgen, sind dann erlaubt und lösen keine Haftung des Organs aus. Das ist vor allem bei Zahlungen der Fall, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen.

 

Das COVInsAG erleichtert es zudem, dem betroffenen Unternehmen Liquidität zuzuführen, indem auch über die vorstehenden Regelungen hinaus Insolvenzanfechtungsmöglichkeiten nach der InsO durch den Insolvenzverwalter (§§ 130 ff. InsO) gegenüber Gläubigern eingeschränkt werden, Haftungsrisiken für die Geschäftsführer reduziert werden und der gesetzliche Nachrang auf neue Gesellschafterdarlehen nicht angewendet wird. Das Aussetzen der Antragspflicht sorgt dafür, dass auch Unternehmen am Markt seit März 2020 agieren, die eigentlich insolvent wären.

 

Und was ist parallel dazu strafrechtlich passiert?

 

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie für bestimmten Zeitraum für das Insolvenz-Strafrecht sind zu beachten.

 

Mit Blick auf eine mögliche Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung des Geschäftsführers nach § 15a Abs. 4 Insolvenzordnung (InsO) gilt es, bei den Folgeerscheinungen der Corona-Pandemie zwei Szenarien zu unterscheiden. § 1 des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) setzt die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO beziehungsweise § 42 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) bis zum 30. September 2020 und verlängert gar bis 30.04.2021 aus, wenn die Insolvenzreife auf der Corona-Pandemie beruht – es sei denn, es besteht keine Aussicht darauf, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Laut Gesetz wird dabei zugunsten von Unternehmen vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der Corona-Pandemie beruhe und Aussichten darauf bestünden, die bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen, sofern der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig war. War der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. Ab 1. Oktober 2020 bis 31. Dezember 2020 galt diese Privilegierung nur noch eingeschränkt für den Insolvenzgrund der Überschuldung.

 

Die Antragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit besteht ab diesem Stichtag wieder uneingeschränkt. Geschützt werden ab dem Zeitpunkt im Ergebnis nur diejenigen Unternehmen, die „nur“ überschuldet sind, aber ab 1. Oktober 2020 noch oder wieder zahlungsfähig sind, und bei denen möglicherweise die positive Fortführungsprognose (§ 19 II InsO) aufgrund den Planungsunsicherheiten in den aktuellen Zeiten zweifelhaft ist, also nicht ausgeschlossen werden kann, dass Zahlungsunfähigkeit im Rahmen des für die Fortführungsprognose geltenden Planungshorizonts eintritt bzw. eintreten könnte.

 

Diese Unternehmen hatten noch bis 31. Dezember 2020 die Chance, mithilfe von Sanierungsversuchen ihre Liquidität nachhaltig wiederherzustellen und ihr Sanierungskonzept bis dahin so weit umzusetzen, dass spätestens ab 01. Januar 2021 die Liquidität nachhaltig wieder gesichert ist und eine positive Fortführungsprognose nach den alten Grundsätzen abgegeben werden kann. Das würde dann die Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung auch nach dem 1. Januar 2021 – für den ersten Moment – verhindern.

 

Diese Regelung (sog. „Schutzfrist“) wurde wegen erheblicher zeitlicher Verlängerung des sog. 2. Lockdowns bis zum 30.4.2021 später vom Gesetzgeber verlängert. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach obigem Muster wurde bis zu diesem Datum mithin verlängert.

 

Was gilt jetzt im Mai 2021 und danach?

 

Die Verlängerung soll den Schuldnern zugutekommen, die einen Anspruch auf finanzielle Hilfen aus den aufgelegten Corona-Hilfsprogrammen haben und deren Auszahlung noch aussteht. Voraussetzung ist grundsätzlich, dass die Hilfe bis zum 28. Februar 2021 beantragt wird und die Hilfeleistung zur Beseitigung der Insolvenzreife geeignet ist. Auf die Antragstellung kommt es jedoch ausnahmsweise nicht an, wenn eine Beantragung der Hilfen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen bis zum 28. Februar 2021 nicht möglich ist. In diesen Fällen soll auf die Antragsberechtigung abgestellt werden.

 

Insoweit kann jedoch bereits die leichtfertige Annahme, unter diese Vorschrift zu fallen, eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Insolvenzverschleppung begründen (§§ 15,16 StGB). Jenseits des Anwendungsbereichs des COVInsAG besteht die Gefahr einer Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung selbstverständlich auch dann, wenn das Unternehmen bereits vor Antragstellung bereits insolvenzreif war und mithilfe des Antrags quasi von der Geschäftsleitung versucht wird, den Betrieb durch Inanspruchnahme der Soforthilfen zu „sanieren“. Dementsprechend hat der Soforthilfe oder sonstige staatliche Leistungen Beantragende nicht nur mit Blick auf § 264 StGB sorgfältig zu prüfen,

 

(a)       ob sich das Unternehmen bereits vor März 2020 in einer existenzbedrohenden Lage befand, in deren Folge ein Insolvenzantrag hätte gestellt werden müssen, sondern darüber hinaus auch

 

(b)       wegen § 15a InsO, namentlich ob das Unternehmen am 31. Dezember 2019 noch zahlungsfähig war.

 

Ist das nicht der Fall, kommt eine Strafverfolgung wegen Insolvenzverschleppung (§ 15 a InsO) weiterhin in Betracht. Und so könnte gerade der Antrag auf Gewährung von Soforthilfe oder sonstiger staatlicher Leistungen aus den diversen staatlichen Hilfeprogrammen, mit dem Ziel das Unternehmen zu retten, offenbaren, dass der Betrieb schon vor März 2020 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten beziehungsweise existenzbedroht und auf die Hilfe angewiesen war. Sollte sich dies aufgrund von Informationen, die beispielsweise den Steuerbehörden vorliegen, letztendlich bestätigen, muss der Antragsteller bzw. der Geschäftsführer mit der Aufnahme strafrechtlicher Ermittlungen rechnen.

 

Alles in allem:

 

Die Regelungen sind weder in insolvenzrechtlicher und strafrechtlicher Hinsicht logisch, noch sind die Regelungen aufeinander abgestimmt. Dies kann aber auch, was die strafrechtliche oder die subjektive Seite von handelnden Geschäftsleitungsorganen anbetrifft, für einen fehlenden Vorsatz im Einzelfall sprechen. Im Rahmen von Liquiditätsplanungen sind staatlich beantragte Hilfsgelder entsprechend zu bewerten. Jeder Unternehmens- Sachverhalt ist ein Einzelfall, den es im Falle eines Falles zu beleuchten gilt. Gesetzgeberische Meisterwerke sind in der Corona-Krise sind nicht zu erwarten gewesen.

 

Bei Fragen wenden Sie sich an fmueller@weiland-rechtsanwaelte.de 

BGH, Urteil vom 14.07.2016, Az. IX ZR 188/15

 

 

 

Ratenzahlungsangebot – kein zwingendes Indiz für Zahlungseinstellung

 

 

Der BGH hat mit Urteil vom 14.07.2016 festgestellt, dass ein Gläubiger nicht zwingend auf eine Zahlungseinstellung des Schuldners schließen muss, wenn der Schuldner erklärt hat, eine fällige Zahlung nicht in einem Zug erbringen und nur Ratenzahlungen leisten zu können.

 

 

BGH, Beschluss vom 14.04.2016, Az.  IX ZR 161/15

 

Insolvenzverwalterhaftung:

 

Keine Pflicht des Insolvenzverwalters einer GmbH zur Aufrechterhaltung der Geschäftsführerhaftpflichtversicherung

 

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 14.04.2016 entschieden, dass der Insolvenzverwalter einer GmbH nicht gegenüber deren Geschäftsführer verpflichtet ist, eine zu dessen Gunsten abgeschlossene Haftpflichtversicherung aufrechtzuerhalten, um ihn aus einer Inanspruchnahme wegen verbotener Zahlungen nach § 64 GmbHG freizustellen.

 

 

Das HansOLG Hamburg hatte als Vorinstanz noch entschieden, dass eine Pflichtverletzung des Insolvenzverwalters in Betracht kommt, wenn dieser unabgestimmt und ankündigungslos die für den Geschäftsführer bestehende D&O-Versicherung beendet.  

 

BGH, Urteil vom 25.1.2011, Az. II ZR 196/09

 

§ 64 Satz 1 GmbHG

 

Stichwort: „Keine Haftung des GmbH-Geschäftsführers bei Zahlungen von Steuern und Arbeitnehmeranteilen an die Sozialversicherung nach Eintritt der Insolvenzreife“

 

Der Geschäftsführer einer GmbH haftet nicht gemäß § 64 Satz 1 GmbHG, wenn er Zahlungen rückständiger Umsatz- und Lohnsteuern sowie rückständiger Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nach Eintritt der Insolvenzreife vornimmt.

In diesem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatte der Geschäftsführer einer GmbH nach Einritt der Insolvenzreife und vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft rückständige Steuern und rückständige Sozialversicherungsbeiträge an das Finanzamt und eine gesetzliche Krankenkasse geleistet. Daraufhin hat der Insolvenzverwalter den Geschäftsführer auf Ersatz der geleisteten Zahlungen verklagt.

 

Nach Ansicht des BGH sind die Zahlungen der rückständigen Steuern an das Finanzamt nach Eintritt der Insolvenzreife mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns entsprechend § 64 Satz 2 GmbHG vereinbar, auch wenn sich der Geschäftsführer mit der Zahlung der Steuerschulden bereits vor Eintritt der Insolvenzreife im Rückstand befand. Ansonsten beginge der Geschäftsführer eine mit einer Geldbuße bedrohte Ordnungswidrigkeit gemäß § 26b UStG oder § 380 AO. Ferner bestehe die Gefahr der persönlichen Haftung des Geschäftsführers nach §§ 69, 34 Abs. 1 AO. Nach Ansicht des BGH rechtfertige die für den Geschäftsführer bestehende Pflichtenkollision derartige Zahlungen.

 

Der BGH differenziert jedoch bei der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge nach Eintritt der Insolvenzreife wie in der Vergangenheit zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteilen. Nur bei Nichtleistung der Arbeitnehmeranteile macht sich der Geschäftsführer nach dem Strafgesetzbuch gemäß § 266a Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar sowie gemäß § 823 Abs. 2 i. V. mit § 266a StGB schadensersatzpflichtig. Lediglich in diesem Fall spricht der BGH daher auch von einer rechtfertigenden Pflichtenkollision.

Nach früherer Ansicht des BGH hatte § 64 Satz 1 GmbHG bei der Beurteilung des Interessenkonflikts des Geschäftsführers grundsätzlich Priorität (BGH, Urteil vom 8.1.2001, Az. II ZR 88/99), Mit diesem Urteil räumt der Zweite Senat § 266a StGB und den §§ 69, 34 Abs. 1 AO Vorrang ein und berücksichtigt nun auch steuerrechtliche Ordnungswidrigkeitstatbestände bei seiner Betrachtung der Pflichtenkollision. Außerdem hat der BGH seine Grundsätze erstmals auch auf rückständige Sozialversicherungsbeiträge und rückständige Steuern übertragen.

 

Anmerkung Rechtsanwalt Dr. Claussen:

 

Wie erwähnt gelten diese Grundsätze hinsichtlich der Sozialversicherungsbeiträge jedoch nur für Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung. Daher sollte der Geschäftsführer bei derartigen Zahlungen ausdrücklich bestimmen, dass seine Zahlung der Tilgung von Arbeitnehmeranteilen dient

 

 

 

BGH, Urteil vom 18.10.2010, Az. II ZR 151/09

Beweislast für positive Fortführungsprognose einer GmbH liegt beim Geschäftsführer und nicht dem Insolvenzverwalter

GmbHG a.F. § 64 Abs. 2
(GmbHG n.F. § 64 S. 1 )

 

Der Bundesgerichtshof hat bei einer Klage eines Insolvenzverwalters wegen „Zahlungen nach Insolvenzreife“ gegen einen Geschäftsführer einer GmbH festgestellt, dass der Insolvenzverwalter lediglich die rechnerische Überschuldung anhand von Liquidationswerte belegen muss und der Geschäftsführer die Darlegungs- und Beweislast für eine positive Fortführungsprognose - mit der Folge einer Bewertung des Vermögens zu Fortführungswerten – hat.

 

Ferner hat der BGH festgestellt, dass die Aktivierung einer Forderung in der Überschuldungsbilanz voraussetzt, dass diese durchsetzbar ist. Sie muss somit einen realisierbaren Vermögenswert darstellen.

 

Anm. Rechtsanwalt Dr. Claussen: Der vom Insolvenzverwalter sehr häufig geltend gemachte Anspruch wegen Zahlungen nach Insolvenzreife, also wegen Zahlungen der Gesellschaft trotz Bestehens einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, ist der gefährlichste Haftungsanspruch dem sich Geschäftsführer oder Vorstände und auch Aufsichtsräte ausgesetzt sehen. In der Praxis wird die Insolvenzreife besonders häufig mit einer Überschuldung begründet.

§ 19 Abs. 2 InsO bestimmt folgendes:

"Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, für die gemäß § 39 Abs. 2 zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist, sind nicht bei den Verbindlichkeiten nach Satz 1 zu berücksichtigen."

 

Für das Verständnis dieser Norm sind einige Erläuterungen erforderlich:

 

Der Überschuldungsbegriff hat infolge der sogenannten Finanzmarktkrise eine stürmische Entwicklung genommen. Mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz vom 17.10.2008 (FMStG, Bundesgesetzblatt I, 2008, 1982) hat der Gesetzgeber den "alten" Überschuldungsbegriff der Konkursordnung wieder eingeführt, den die Rechtsprechung entwickelt hatte. Hintergrund war die Sorge des Gesetzgebers, dass wegen der durch die Finanzmarktkrise verursachten Wertverluste, insbesondere bei Aktien und Immobilien, Unternehmen in ein Insolvenzverfahren gezwungen werden könnten, bei denen die überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie weiter am Markt operieren können und deren Finanzkraft mittelfristig zur Fortführung ausreicht. Bei dem "alten" zweistufigen Überschuldungsbegriff treten Schuldendeckungsprinzip und Fortführungsprognose gleichwertig nebeneinander. Die ursprüngliche Befristung der Rückkehr zum alten Überschuldungsbegriff bis zum 31.12.2010 ist bis zum 31.12.2013 verlängert worden durch das Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, von Bundestag und Bundesrat verabschiedet am 8.9.2009 bzw. 18.9.2009.

Danach liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners bei Ansatz von Liquidationswerten die bestehenden Verbindlichkeiten nicht deckt (rechnerische Überschuldung) und die Finanzkraft der Gesellschaft mittelfristig nicht zur Fortführung des Unternehmens ausreicht (Fortführungs- oder Fortbestehensprognose).

 

Die Gesetzesbegründung spricht davon, dass das vorhandene Vermögen realistisch zu bewerten sei, damit das Ziel einer rechtzeitigen Verfahrenseröffnung nicht gefährdet werde. Ausgehend vom Schuldendeckungsprinzip heißt das, dass wahre Werte, d.h. realistische Veräußerungs- bzw. Einziehungswerte, anzusetzen sind. Dabei gilt der Grundsatz der Einzelbewertung. Handelsrechtliche Ansatz- und Bewertungsvorschriften (§§ 246 ff. HGB) gelten nicht. Maßgebend für die Bewertung ist die Verwertbarkeit im Rahmen des zugrundeliegenden Unternehmens- bzw. Liquidationskonzepts. Demgemäß sind auch stille Reserven bzw. stille Lasten mit zu berücksichtigen und auch handelsrechtlich nicht bilanzierungsfähige Vermögensgegenstände mit anzusetzen, soweit Ihnen ein Veräußerungswert zukommt.

Unter Liquidationswerten versteht man den Veräußerungswert eines Wirtschaftsgutes bei Liquidation des Unternehmens, wobei jeweils die Verwertungskosten sowie die Umsatzsteuer in Abzug zu bringen sind. Dabei ist eine reguläre, d.h. außergerichtliche Liquidation und nicht etwa eine sogenannte Sonderliquidation im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zugrunde zu legen. Die Überschuldungsprüfung soll gerade klären, ob im Falle fehlender Fortführungsprognose das schuldnerischen Aktivvermögen im Rahmen einer regulären Liquidation die Schulden noch deckt oder ggf. ein Insolvenzverfahren durchzuführen ist (Schröder in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 19 Rn. 22).

Ergibt sich nach den geschilderten Grundsätzen eine rechnerische Überschuldung, ist zu prüfen, ob eine positive Fortbestehensprognose besteht.

Der Schuldner hat eine positive Fortführungs- oder Fortbestehensprognose, wenn die Fortführung nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist. Insofern kommt es neben der Liquidität entscheidend auf das Unternehmenskonzept und die Ertragsfähigkeit an. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Fortführung des Unternehmens bedeutet, dass diese zu mehr als 50% wahrscheinlich sein muss.

 

Die Rechtsprechung verlangt für eine positive Fortbestehensprognose sowohl den Fortführungswillen des Schuldners bzw. seiner Organe als auch die objektive – grundsätzlich aus einem aussagekräftigen Unternehmenskonzept mit entsprechender Ertrags- und Finanzplanung herzuleitender – Überlebensfähigkeit des Unternehmens (BGH ZInsO 2007, 37). Eine positive Fortbestehensprognose setzt also grundsätzlich voraus, dass eine dokumentierte Ertrags- und Finanzplanung vorliegt und die überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass das Unternehmen mittelfristig Überschüsse erzielen wird, aus denen die gegenwärtigen und künftigen Verbindlichkeiten gedeckt werden können.

Nach der herrschenden Meinung in der Literatur wird eine positive Fortbestehensprognose an drei Voraussetzungen geknüpft: Es müssen in schriftlich dokumentierte Form

- ein schlüssiges und realisierbare Unternehmenskonzept sowie

- eine darauf aufbauende Finanzplanung (Liquiditätsplanung) vorliegen,

- der zufolge die Finanzkraft des Unternehmens zur Fortführung mittelfristig  ausreichen.

 

Insofern kommt es auch hiernach neben der Finanzplanung entscheidend auf das Unternehmenskonzept und auf die Ertragsplanung (Plan- Gewinn- und Verlustrechnung) an, die sich dann in der Finanzplanung niederschlagen muss.

Streitig ist, wie weit die "mittelfristige" Ertrags- und Finanzplanung reichen muss (Nachhaltigkeit) bzw. realistischerweise kann (Planbarkeit), d.h. die Dauer des Prognosezeitraums. Die herrschende Meinung legt aus Praktikabilitätsgründen grundsätzlich das laufende und das folgende Geschäftsjahr zugrunde (Kirchhof in: Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 19 Rn. 12 mit weiteren Nachweisen). Dabei wird überwiegend angenommen, dass aufgrund von Branchen- bzw. Unternehmensbesonderheiten in begründeten Ausnahmefällen eine Verlängerung oder auch Verkürzung in Betracht kommen kann.

 

 

§ 19 Abs. 2 S. 2 InsO betrifft die Vereinbarung von qualifizierten Rangrücktritten. Hier passieren in der Praxis immer wieder Formulierungsfehler, so dass es angeraten ist, sich durch einen Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht oder auch Insolvenzrecht beraten zu lassen. Andernfalls ist eine Gesellschaft überschuldet, obwohl die Geschäftsführung glaubt, die Überschuldung durch Rangrücktrittserklärungen beseitigt zu haben.